„Vom Leben an der Lila Eule“

Vom Leben an der Lila Eule

Es ist schon etwas Besonderes, in die Bernhardstrasse nach Hause zu kommen. Nach Hause zu kommen und seine Ruhe da zu finden, da wo andere hingehen, um das Leben unter Menschen zu genießen. Dieses kleine Quartier, rund um die Eule, wird von den meisten Menschen nur von außen gesehen. Es wird wenig darüber nachgedacht, was es bedeutet hier, mitten im Viertel, seinen Lebensmittelpunkt zu haben. Um es direkt zu sagen: Uns geht es gut hier. Nicht trotz dem Bremer Leben, welches hier an Wochenenden so quirlig durch die Straßen mäandert, sondern eben genau deswegen.

Und es funktioniert. Das Miteinander zwischen den Menschen die hier leben, den Gästen, den Betreibern der Eule, dem Lagerhaus, dem Eisen und all den anderen Kulturstiftenden Institutionen, ist es, was diesen Ort so besonders macht.

Wer über dieses Quartier sprechen will, kommt nicht herum, um die Geschichte der Lila Eule und ihres Umfeldes zu wissen. Es ist falsch zu denken, es ginge hier um irgendein kaltes, modernes Clubgeschehen. Es geht hier eben nicht darum, dem “Kunden” das Geld aus der Tasche zu ziehen und die Menschen möglichst schnell wieder los zu werden, wie an so vielen anderen, angeblich kulturellen, Orten dieser Stadt. Und über welchen anderen Ort in Bremen hört man noch von seinen Eltern: “Ja, da waren wir früher auch immer.”

An kaum einem Ort Bremens treffen so viele Menschen unterschiedlichster Hintergründe, Einstellungen und Lebenswegen wie in unserem Quartier aufeinander. Mal für lange, mal für nur kurze Zeit. Das Viertel an sich, und somit die Lila Eule als älteste Kulturstätte, besitzt eine herausragende Bedeutung für diese Stadt, eben weil dieses Viertel nicht auf dem Reißbrett entstanden ist, sondern sich über die Jahre selbst zu dem gemacht hat, was es heute ist: Ein organischer, sich selbst regulierender Ort, auch ein Ort der Reibung, aber in erster Linie ein lebendiger Ort des Miteinanders.

Im Vergleich zu den anderen Orten der Stadt, wie etwa der Bahnhofsmeile, kommen wir gut ohne speziell ausgebildete, von der Stadt finanzierte Konfliktschlichter aus. Vielleicht, weil bei uns immer noch gilt: Schaut aufeinander, kümmert euch um einander. Es geht hier nicht darum, der Geilste des Abends, der Besoffenste der Clique, der schärfste Aufreißer zu sein. Es geht darum, in Kontakt mit anderen Menschen zu treten. Der Stil der Läden, die Geschichte, die Liebe der Betreiber zu ihren Orten und ihren Inhalten ist es, der diesem abendlichen und nächtlichen Miteinander eine kulturelle Komponente verleiht.

Wer eines Nachts mal um den Pudding Bernhardstrasse, Schildstrasse, Luisenstrasse gegangen ist, der weiß: Vielleicht ist es wirklich etwas ruppiger, etwas lauter, wohl auch etwas dreckiger als anderswo. Aber eines ist nicht zu übersehen, eines ist immer zu spüren: Hier lebt eine Herzlichkeit unter den Menschen, zwischen Anwohnern und Besuchern. Die Dinge regeln sich meist friedlich. Wir haben genügend öffentliche Orte in der Stadt, an denen die Gewalt des nächtens kalt ausufert. Die Antwort darauf kann nicht noch mehr Polizei, können nicht noch mehr Verbote sein. Der Ton macht die Musik, und auch wenn dieser Ton, diese Musik, manchmal etwas lauter aus der Eule klingt, steht eines Fest: Die Musik aus der Eule, der Sound dieser Straße ist für uns, die wir hier leben, der richtige Soundtrack.

Uns geht es gut hier.

Die Anwohner und Freunde.

Dieser offene Brief, den ich vor zwei Monaten schrieb, ist der Versuch eine Aussage zu treffen. Die Aussage, dass diese Alltagskultur im Viertel genau so gewollt ist. Und ich denke, hier in der Neustadt, geht es vielen Menschen ähnlich.

Ich habe vergessen, ob es die Sterne, Tocotronic oder doch Satre waren, die als erstes beklagten, dass es eines der größten Probleme unserer Zeit wäre, dass die Menschen Lautstärke und Intensität verwechseln.

Wir haben ein veritables Problem. Das heißt nicht nur wir hier in Bremen, es sind alle Menschen die in den feinen und schönen westlich-urbanen Strukturen leben, wie wir es tun. Wir sind heute Abend nicht hier, um einfach irgendwelche Lautstärken zu diskutieren, denn die Lautstärken sind nicht das eigentliche Problem. Es geht um etwas ganz anderes.

Die Beschwerden von Anwohnern nehmen zu, nicht nur im Viertel, auch hier in der Neustadt und nahezu überall, wo es nach acht Uhr noch Leben auf den Straßen gibt. Und tatsächlich ist die Forderung verständlich. Die Welt und das Leben sind verdammt laut und schnell geworden. Schneller und lauter als jemals zuvor. Aber es ist ein riesiger Fehler zu denken, es würde ruhiger werden, indem man versucht die Intensität herunter zu drehen.

Das, was uns zu schaffen macht, ist nicht die Lautstärke. Es ist auch nicht die Schnelligkeit. Es ist einzig und allein die Tatsache, dass wir nicht mehr in der Lage sind, inne zu halten, die Dinge, die um uns herum geschehen, wahr zu nehmen und sie zu verstehen. Aber der einzige Weg aus dieser Misere, ist es, sich Werkzeuge zu suchen, die uns helfen zu verstehen. Und für Verständnis gibt es nur ein ein Werkzeug. Es nennt sich Kultur.

Und genau darum geht es heute. Natürlich spielt das verbriefte Recht eines jeden Deutschen über die noch so kleinste Albernheit zu Motzen auch eine Rolle, ohne dieses wahr genomme Recht wäre es ja nicht ganz bestimmt nicht Deutschland. Natürlich geht es auch um Wirtschaft, nicht zuletzt deswegen, weil sich leider leider ohne die Wirtschaft kaum etwas Großes ändern lässt. Aber es geht im Großen und Ganzen um eins: Um Kultur. Kultur ist nicht irgendein Teil unserer Wirtschaft. Wirtschaft ist Teil unserer Kultur.

Kultur ist nicht Musik. Kultur ist auch nicht Literatur, nicht Malerei und nicht Schauspiel und Theater. Kultur ist die Art und Weise, wie wir miteinander umgehen. Wie wir das tun, wo wir das tun und warum wir es tun. Und ja, zu Kultur gehören auch die Dinge die nicht scheinend am Sonntag im Weserkurier über den Klee gelobt werden. Kultur ist der glücklich erleuchtete Mensch nach Peng!, Z, Zucker,Treue, Güterbahnhof, Querlenker, Friese, Bermudadreieck oder sogar Stubu des Sonntag morgens. Diese Menschen gehören genauso zur Kultur wie der Lattenschlürfer oder das kleine Konzert eben in diesem Laden oder die Besucherin der Matthäuspassion im Dom. Wir können nicht diskutieren, was Kultur ist. Wir können über ihre Qualität streiten. Aber wir können die Kultur an sich nicht ablehnen. Kultur ist alles, was der Mensch selbst gestaltend hervorbringt.
Wir brauchen Orte, an denen wir mit anderen in Kontakt kommen können, um überhaupt ein Wir sein zu können. Diese Orte sind das verbindende Element, sind das was alle Farben des Umgangs von Menschen überhaupt erst eine Bühne bietet. Orte an denen wir uns treffen.

Wir brauchen diese Orte. Orte der gemeinsamen Erfahrung, wie auch immer die aussieht. Jeder Ort, jede Kommunikation ist besser als Nicht. Wir haben diese Orte der gemeinschaftlichen Freiheit bereits in dieser Stadt und hier in der Neustadt muss ich nicht betonen, mit was für einer Kraft immer neue Flächen des Miteinanders entstehen.

Nun gibt eine neue, grosse Welle von Beschwerden, von Klagen von Menschen, die eben das nicht so sehen. Sie treffen sich, und langsam bekommen sie Oberwasser.

Dabei mag es dem einzelnen um seine Nachtruhe gehen. Aber in der Gruppe geht es um eine Einschränkung der Kultur. Das ist nicht und in gar keinem Fall hin zu nehmen. Wir können das nicht zulassen.

Dafür müssen wir zusammenstehen. Das Recht und die Möglichkeit Dinge zu verbieten liegt auf der Seite derer, die sich gestört fühlen. Das ist in einem Rechtsstaat schon immer so und auch richtig. Aber: Verbieten war schon immer einfacher als erschaffen. Ab zu reißen schon immer einfacher als aufzubauen. Aber eines muss klar sein: Diese Rosinenpickerei muss aufhören. Alles kommt zu seinem Preis. Und wer sich entscheidet im quirligen, aufregenden Stadtzentrum zu Leben, mit all den Vorteilen, mit all vielen Dingen, die um einen herum geschehen, der lebt nun einmal zusammen mit all den vielen Menschen, wegen denen es überhaupt erst fußgängige Supermärkte, eine großartige Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr, Fahrradwege, Krankenhäuser und Kindergärten gibt.
Die Anwesenheit der anderen Menschen ist nunmal der Preis für die Anwesenheit anderer Menschen.
Der Preis den jeder Mensch zu bezahlen hat, der sich so eine Stadt teilen will. Und wer in einen coolen Stadtteil ziehen möchte, der sollte eines beachten: Der integraler Bestandteil von cool sein ist es, cool zu bleiben.

Mittlerweile ist es soweit, dass wir nacheinander die Punkte freundliches Aufmerksam machen, ein bisschen zu laut an die Wand klopfen, angepisst vor der Tür stehen und den Ruf nach Polizei hinter uns gelassen haben. Es wird geklagt. Im Viertel noch ein Stück weiter: Es werden nicht die kulturellen Orte verklagt, sondern das Stadtamt, die Verwaltung an sich, weil sie sich angeblich nicht kümmert. Hierfür müssen wir eine politische Lösung finden. Ich fordere alle Anwesenden auf, auf dieses Problem heute eine konkrete Antwort zu finden. Um eines klar zu sagen: Jeder der hier anwesenden Veranstalter aus welchem kulturelle Kontext auch immer, war und ist zu jeder Zeit zum Gespräch und zum Kompromiss bereit.

Meine liebste Beschwerde nach meiner seltsam lauten Rede an der Weser: “Durch den Schall und die Lautstärke hat die Muschelsammlung meiner Kinder auf der Heizung zu sehr gewackelt. Meine Kinder können nicht mehr schlafen und haben Angst vor ihnen, Herr Busch.”
Letzte Woche war auf dem Schild vor dem Eislabor auf dem Peterswerder zu lesen:
“Aufgrund von Neid, Missgunst oder Langeweile, hat sich ein Nachbar beim Stadtamt wegen unserer bunten Bänke beschwert. Wir sind leider dazu gezwungen, die Sitzbänke zu entfernen.”

Es ist allzu einfach, das, was ist, unser Zusammenleben, als selbstverständlich hin zu nehmen. Aber das ist es nicht. Der Wille, miteinander zu leben, muss immer wieder neu formuliert werden.

Von den Bürgern, aber auch und gerade von den treibenden Kräften in Kultur und Politik. Unser Zusammenleben in dieser Stadt ist nicht selbstverständlich.

Keine 10 Stunden, nachdem ich meine Zusage gegeben hatte, hier zu sprechen, bekam ich aus dem was sich vielleicht zurecht, vielleicht auch nur allzu oft gemütlich und selbstgerecht, selber Subkultur nennt, die ersten Meldungen, was ich denn bittesehr mit dem Ganzen hier zu tun hätte. Das klang in etwa so:
“R.I.P. Neuland / Suchtklinik – R.I.P. Bremen. Das hier sind also die wirklich „wichtigen“ Menschen in Bremen wenn es um „lebendige Kultur- und Clubszene für den Wirtschaftsstandort Bremen” geht. Selten so gekotzt! Klingt wie Hohn und Spott lieber Herr Busch, für die Menschen, die seit Jahren für eine irgendgeartete Subkultur in Bremen kämpfen. Aber diskutier mal mit den Amtsärschen und dem Unternehmer des Jahres, ist ja Wahlkampf. Wenn Sie dir auf Augenhöhe begegnen, Sönke, dann sag doch bitte Bescheid. Ändern wird sich wohl leider trotzdem nichts.”
Ich mag so was ja gerne. Was ich nicht ausstehen kann, ist, wenn privat im stillen Kämmerlein des Internet gekotzt wird. Und wie gerne hätte ich heute jemanden, der in bester TonSteineScherben Manier hier jetzt mal den Tisch kaputt macht. Wird keiner machen. Natürlich nicht. Das ist immer noch Bremen. Da wird besser zweimal überlegt, ob es klug ist, sich mit den falschen Leuten an zu legen. Aber wer nicht aufsteht, wird es ganz schwer haben, auf Augenhöhe zu sein.
Natürlich ist es ein Wahnsinn, dass es nach wie vor keine Räume für das Zucker gibt. Und natürlich ist es hochnotpeinlich, wie lange Janosch Peng schon um so etwas triviales wie fünf Parkplatze kämpfen muss. Wir müssen jetzt die Bewegung ändern, die dazu führt, dass unsere Ort eingehen und durch einen Schlaffriedhof ersetzt werden.
Ich will in dieser Stadt nicht Schlafen. Ich will in dieser Stadt leben.
Was mit Karton, Eule und Litfass, Eisen, Zakk und Lagerhaus passiert ist nicht in Ordnung. Wegen Kultur. Nicht wegen Wirtschaft. Natürlich ist der Untertitel dieser Veranstaltung seltsam, ja arrogant gewählt “Wie wichtig ist eine lebendige Kultur- und Clubszene für den Wirtschaftsstandort Bremen?”. Und zurecht ist das ein Aufhänger für eine notwendige Diskussion über das fundamental falsche Verhältnis und Verständnis von Wirtschaft zu Kultur. Wäre die Welt nicht so verrückt wie sie ist, würde diese Veranstaltung einen anderen Namen tragen müssen, nämlich folgenden:
“Wie wichtig ist eine lebendige Wirtschaftsszene für den Kulturstandort Bremen?”
Es gilt für uns alle eines nicht zu vergessen. Sei es die Politik, sei es die Wirtschaft, sei es der Anwohner und jeder Bürger dieser Stadt:
Kultur ist nicht ein Teil unserer Wirtschaft.
Wirtschaft ist nur ein Teil unserer Kultur.

Hinterlasse einen Kommentar